Dirk Müller ist seit vielen Jahren das Gesicht der Börse. Kompetent und charismatisch versteht er es, das Börsenlatein so zu übersetzen, daß es auch Normalsterbliche begreifen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext. Seit 2016 beantwortet er regelmäßig Fragen der NATURSCHECK-Leser zu den Themen Politik, Wirtschaft und Finanzen. Auch die Entwicklung des Menschen und der Gesellschaft beobachtet Dirk Müller mit wachem Auge.
Lieber Dirk, kürzlich wurde uns durch das renommierte amerikanische Wallstreet-Journal mitgeteilt, daß der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski anscheinend bei einem lustigen, weinseligen Treffen mit Gleichgesinnten die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines angeordnet hat. Das heißt, daß der größte terroristische Anschlag der Nachkriegsgeschichte auf die deutsche Infrastruktur, der uns unzählige Milliarden kostet, von der Regierung durchgeführt wurde, die wir mit unzähligen Milliarden »Kriegshilfe« unterstützen. Wie hast du diese Nachricht aufgenommen?
Dirk Müller: Tatsächlich habe ich vor einer guten Stunde ein Video genau über dieses völlig skurrile Thema aufgenommen. (lacht) Inzwischen berichtet ja auch die Süddeutsche und sogar die ARD investigativ, daß es nun doch nicht der böse Russe war, der seine eigenen Pipelines gesprengt hat. Man ist sich wohl darüber einig, daß es die Ukrainer waren. Wer jedoch den Schwarzen Peter bekommt, ob also Selenski selbst die Sprengung angeordnet hat oder einfach nur davon wußte, ob die Polen oder die Amerikaner involviert waren, darüber wird noch gestritten.
Und obwohl es sich hier um einen Skandal unfaßbaren Ausmaßes handelt, werden derzeit medial nicht etwa die Drahtzieher dieses Verbrechens massiv angegangen, sondern jene, die diesen Skandal »angeblich« für ihre Zwecke ausnutzen. Also vor allem Menschen, die Friedensverhandlungen gefordert oder schon länger Zweifel an der Täterschaft Russland geäußert haben. Berechtigterweise, wie sich jetzt zeigt. Und dieselben Journalisten, die 2022 vehement die Überzeugung vertraten, daß nur Russland als Täter in Frage kommt, sind nun nicht in der Lage, von dem einmal eingeschlagenen Irrweg abzuweichen und ihre Fehler zuzugeben. Dabei ist es völlig normal, daß man sich irrt, daß man die Dinge anfangs vielleicht anders sieht, weil man nicht alle Informationen hat. Aber es gehört eine gewisse Größe dazu, zu seinen Fehlern oder Fehleinschätzungen zu stehen.
Spätestens seit Corona hat das Festhalten an längst widerlegten »Wahrheiten« ja einen fast schon kultischen Charakter angenommen. Leugnung und Realitätsverdrängung ist die neue Staatsreligion, vor allem bei Politikern. Mein Vater sagte immer: Selbst wenn dem die Wurschd aus dem Mund hängt, behauptet der noch, er hätte Käs’ gegessen …
Dirk Müller: (lacht) Viele Dinge kann man einfach nur noch mit Humor nehmen. Ich verstehe all jene, die sagen: Ich möchte mit diesem ganzen Quatsch überhaupt nichts mehr zu tun haben. Aber Menschen wie wir, die aus beruflichen Gründen über diese Geschehnisse Bescheid wissen müssen und auch eine mediale Reichweite haben, wir sollten mit einer gewissen Lockerheit an diese Dinge herangehen und uns nicht verrücktmachen lassen. In dieser Balance, die Dinge zu sehen und zu benennen und gleichzeitig ein Leben zu leben, das mir Freude macht, darin sehe ich im Moment meine Aufgabe.
Apropos Humor. Ich war lange KI-Verweigerer, habe dann aber doch angefangen, mit ChatGPT zu experimentieren und dabei neben sehr beeindruckenden auch sehr humorvolle Erfahrungen gemacht. Zwei davon möchte ich kurz schildern. Eine Freundin von uns, die Ärztin ist und selbst unter Diabetes leidet, hat eine Diabetes-Studie gemacht. Sechs Monate hat sie recherchiert und unzählige Stunden investiert. Dann kam ihre Tochter zu Besuch, hat sich das Laptop geschnappt und mit Hilfe von ChatGPT in gefühlten 15 Minuten dieselbe Studie verfaßt, nur noch ein bißchen aktueller. Unsere Freundin war ziemlich deprimiert.
Hier habe ich für mich gesehen, wie die KI unser Leben verändern kann und viele Berufe vielleicht überflüssig machen wird.
Das andere Extrem war, als ich meiner Frau kurz zeigen wollte, wie ChatGPT funktioniert. Ich sagte ihr: Stell doch einfach eine Frage. Meine Frau wollte aber nicht und antwortete, sie habe keine Frage. So gab ich ein: »Meine Frau hat keine Frage.« Und im Handumdrehen warf mir ChatGPT einen 20seitigen Beziehungsratgeber aus, der mit den Worten begann: »Michael, mach dir keinen Sorgen. Wenn deine Frau keine Fragen hat und nicht sprechen will, dann heißt das nicht, daß sie dich nicht liebt.« Und ich erhielt unzählige Vorschläge, was man als Paar schweigend miteinander unternehmen kann. Obwohl eigentlich »Thema verfehlt«, war das Resultat doch beeindruckend.
Dirk Müller: (lacht) Du hast das Richtige gesagt: Wenn du die KI etwas fragst, ist die Antwort oft »Thema verfehlt« oder einfach halluziniert. Und das macht es so wahnsinnig gefährlich. Die Technikwelt bestätigt, daß uns auch zukünftig völliger Bullshit von der KI als überzeugende Wahrheiten präsentiert werden wird. Es ist also Vorsicht geboten. Denn nichts ist schlimmer als Falschinformation. Wenn du keine Information hast oder eine Teilinformation nicht hast, ist das nicht so schlimm, als wenn du eine falsche Information hast, die aussieht, als ob sie richtig ist.
Deshalb werden große Konzerne bei Verträgen oder bei großen Studien – auch wenn die KI hier in 15 Minuten etwas Tolles herausgehauen hat – auf menschliche Überprüfung angewiesen sein. Denn wenn in der Studie drei Elemente nicht stimmen, ist die ganze Studie wertlos. Das ist dann bei der Frau, die das manuell gemacht hat und jede Quelle geprüft hat, weniger wahrscheinlich. Weil sie Querchecks gemacht hat, weil sie mit ihrem logischen Verstand an die Sache herangegangen ist, vielleicht sogar ihrer Intuition gefolgt ist.
All das kann die KI nicht. Die haut dann einen raus, und jemand hat plötzlich sechs statt fünf Finger. Und das ist dann halt so. Bei kleinen Projekten oder einem KI-generierten Foto für das Familienalbum stört das niemanden. Aber da, wo es um komplexe Themen geht, in der Medizinentwicklung oder im militärischen Bereich, wird man die Künstliche Intelligenz noch lange Zeit nicht einsetzen können.
Laß uns einen weiteren Blick in die Zukunft werden: Deutsche Hochtechnologie ist noch immer sehr gefragt, nur eben nicht hierzulande. In den arabischen Ländern werden modernste Infrastrukturprojekte von deutschen Unternehmen und Ingenieuren entwickelt und durchgeführt. In Dubai oder den USA werden deutsche Zukunftsautos mit Brennstoffzelle und Wasserstoffantrieb vorgestellt, während die deutsche Politik das Lastenfahrrad propagiert. Wie werden sich die aktuellen wirtschaftlichen Veränderungen auf die deutsche Unternehmenskultur auswirken? Wer wird auf der Strecke bleiben, und welche Branchen oder Tätigkeiten sind noch zukunftsfähig? Quo vadis, Deutschland?
Dirk Müller: Das ist eine sehr komplexe Frage. Ich versuche einmal, ein paar Aspekte zu beleuchten. Zuerst einmal geht vieles den Bach runter, was Deutschland einmal starkgemacht hat. Allem voran der Mittelstand, der Erfindergeist, das Unternehmertum. Die mittelständische Unternehmenskultur wird zunehmend zerstört, weil wir in einer globalisierten Welt, in einer Konzernwelt, in einer oligarchischen Welt leben. In dieser neigen die großen Konzerne immer mehr zu Monopolen, fressen sich gegenseitig, nehmen aber auch die einfachen Opfer mit, die sich nicht wehren können: den Mittelstand.
Diese Konzerne haben in Brüssel tausende von Lobbymitarbeiter. Und eine der großen Forderungen an die EU ist: mehr Bürokratie, mehr Kontrolle, mehr ISO-Normen, mehr Reporting. Mit dieser Bürokratie kommt ein großer Konzern problemlos klar und schafft dafür eine eigene Abteilung. Ein Mittelständler kann so viel Bürokratie nicht bewältigen und geht daran pleite. Er verschwindet vom Markt. Und jeder Mittelständler, der vom Markt verschwindet, dessen Kundschaft und dessen Marktumfeld wird von einem Großen aufgesaugt. Das ist ein sehr ungleicher Kampf, darum wird leider die Zahl der mittelständischen Unternehmen immer geringer werden und die Konzernstrukturen immer größer.
Da große deutsche Konzerne wie BASF in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig sind, bauen sie ihre Kapazitäten ab und in Asien wieder auf. Die Frage lautet also: Die Konzerne wandern ab, die Mittelschicht verschwindet oder wird von den Konzernen verschluckt – womit verdienen wir zukünftig unser Geld? Was können wir denn noch?
Da kommen wir jetzt auch schon auf die Antwort: Natürlich, der Einzelne kann in einem der internationalen Konzerne unterkommen und da Karriere machen. Aber für die breite Masse, für die Bodenständigen, ergibt sich eine andere Chance – und das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt. Das könnte auch eine Überschrift sein: »Die Freiheit und das Leben sind analog!« So lautet meine persönliche Überzeugung! Die Macht der heutigen Herrscher der Welt findet ausnahmslos im Digitalen statt. Deshalb versuchen sie, alles und jeden ins Digitale zu zerren und zu zwingen, weil sie dort über alles herrschen. Sie brauchen kaum Menschen, es reicht eine KI – und sie haben maximale Macht.
Wo sie die Macht nicht haben, weil es einer sehr viel größeren Menge an Menschen bedürfte, ist in der analogen Welt. Wenn ich das erkenne und darüber nachdenke, dann ist auch meine Zukunft eher im Analogen. Und ich stelle daher die Frage: Wo können die großen Konzerne nicht mitspielen? Die Antwort lautet: Im Zwischenmenschlichen! Ich glaube, daß die Zukunftschancen für Deutschland – und das kann durchaus eine positive Entwicklung sein – gerade in den Berufen und in den Dienstleistungen stecken, die eine Maschine, die ein Konzern, die ein Computer nicht abdecken kann. Sei es die soziale Pflege, seien es personifizierte Berufe, Mensch zu Mensch miteinander arbeiten, persönliche Gespräche, persönliches Treffen, alles, was zwischen Menschen im physischen Raum stattfindet.
Ich glaube, daß das in der Zukunft eine viel größere Bedeutung haben wird. Daß eine Sehnsucht danach entstehen wird, wenn man einmal bemerkt hat, wie einen diese digitale Isolation zunehmend unglücklich macht. Daraus wird sich in den nächsten vielleicht 20 Jahren eine Kultur ergeben, in der der persönliche, menschliche Dienstleister wieder sehr wertvoll sein wird. Dazu gehört, beispielsweise, auch der »Hand-Werker«, der zu dir nach Haue kommt und die Wand streicht oder die Elektrik repariert. Da es davon inzwischen so wenige gibt, werden sie irgendwann mit Gold aufgewogen. Wir werden wieder einen goldenen Boden des Handwerks erleben, wo die menschliche Arbeit im Vordergrund steht. Wir werden den Friseur, den Schreiner, den Maler, den Elektriker, den Automechaniker vor Ort wieder viel höher bezahlen. Ich glaube, daß wir eine Renaissance des Handwerks und der zwischenmenschlichen Berufe erleben werden. Und das sind doch gar nicht so schlechte Aussichten.
Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. Ich habe letztes Jahr in kurzer Zeit sechs oder sieben KI-Romane gelesen. Fast alle geschrieben von echten Insidern, die teilweise selbst KI-Firmen gegründet haben. Und alle zeichneten ein sehr ähnliches Zukunftsbild: Während die USA, Australien und die asiatischen Länder irgendwann komplett in der digitalen, virtuellen Welt aufgegangen sind, ist das »rückständige« Europa zu seinen alten analogen Werten zurückgekehrt. Die moderne Welt wunderte sich über die europäischen Neandertaler, die so rückständige Dinge taten, wie sich mit Freunden zum Grillen im Garten zu treffen, sich in der Natur aufzuhalten, Gärten anzulegen und alte Handwerke wiederzubeleben. Noch ist es nicht so weit, aber die Sehnsucht nach echtem Leben scheint bereits in vielen Menschen zu erwachen.
Dirk Müller: Bisher ist das leider noch eine Minderheit. Das Pendel schlägt im Moment noch zu der anderen Seite aus. Die Digitalisierung wird sich weiter ausbreiten. Alles wird noch digitaler werden, die Kommunikation, das Einkaufen, das Geldsystem. Für viele Menschen hat die digitale Welt echten Suchtcharakter. Und in einigen Ländern findet das Leben bereits komplett im Smartphone statt. Das ist eine Tendenz, die sich verschärfen und viele Menschen in »digitale Zombies« verwandeln wird.
Aber es wird auch die Gegenbewegung geben: Equilibrium! Jede Kraft erzeugt die gleichgroße Gegenkraft. Und deshalb wird es auch eine Bewegung geben von Menschen, die das abstößt. Ich kann mir gut vorstellen, daß das auch parallel existiert.
Wie immer in der Geschichte der Menschheit wird es Extreme geben, und irgendwann trifft man sich wieder auf einem normalen Mittelmaß. Ich bin da sehr optimistisch. Wenn ich solche Extreme sehe, schüttele auch ich den Kopf und denke: »Sch…e!« Dann sage ich mir aber: Auch das geht vorbei! Das geht jetzt vielleicht ein paar Jahrzehnte, vielleicht eine Generation oder zwei. Und dann kommt es auch wieder anders. Ich glaube, mit so einem breiteren Blick über die Gesellschaft und die Welt ist man ganz gut beraten. Es geht nicht alles linear den Bach runter und führt in die totale Dystopie, sondern am Ende wird alles gut, und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.
Lieber Dirk, das ist ein sehr schönes Schlußwort. Und das Bild eines wieder zu seinen wahren Werten erwachenden Deutschlands empfinde ich als sehr hoffnungsvoll. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch. Und beim nächsten Mal wieder analog und bei uns im Garten.
Das Gespräch führte
Michael Hoppe
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