Wenn Vaters Tochter Mutters Sohn heiratet

von Redaktion

In unserer Jubiläumsausgabe möchten wir einen Menschen zu Wort kommen lassen, der nicht mehr unter uns weilt: Dr. phil. Hans-Peter Milling. Bei ihm habe ich vor vielen Jahren meine »Systemische Ausbildung« gemacht, und es war ihm ein ganz besonderes Anliegen, auf ein Phänomen hinzuweisen, das heute unsere Gesellschaft bestimmt und Paarbeziehungen nachhaltig erschwert. Denn wenn Vatertöchter Muttersöhne heiraten, ist der Konflikt vorprogrammiert. Der nachfolgende Artikel wurde bereits vor einigen Jahren verfaßt, ist jedoch aktueller dennje.

Die Muttersohnproblematik ist eines der bedeutsamsten Themen der Gegenwart. Als Muttersohn bezeichnet zu werden, gilt als schwere Beleidigung, und doch trifft die Bezeichnung auf die Mehrzahl der Männer und ihre dazugehörigen Mütter zu. Die Bezeichnungen »Vatertochter« oder »Papas Prinzessin« sind im allgemeinen Sprachgebrauch weniger üblich, die zugrundeliegende Dynamik ist jedoch ähnlich.

Die »ideale« Familie

Familien, in denen Kinder ihre Eltern in einer Partnerschaft aus liebe- und respektvollem Umgang im Miteinander erleben, sind die Basis für eine natürliche Eltern-Kind-Konstellation. Hier kann das Kind wirklich Kind sein. Es gibt die Ebene der Erwachsenen, welche die Paarbeziehung einschließt, und eine davon getrennte Ebene der Kinder. Bei idealen Eltern erlebt das Kind Geborgenheit und Liebe und kann so psychisch gesund aufwachsen. Einem Ablösungsprozeß von den Eltern steht hier nichts im Weg.

Söhne und Töchter in Partnerersatzrollen

Der Alltag ist jedoch oft ein anderer. Eltern-Kind-Beziehungen werden nicht selten durch unerfüllte Partnerschaft getrübt. Bekanntermaßen haben Kinder ein sehr feines Gespür dafür, ob es ihren Eltern gut geht, oder ob sie Mangel erleiden. Bereitwillig füllen sie die »Lücken« in der Partnerschaft ihrer Eltern. Der Sohn wird sich unbewußt so verhalten, als würde er sagen: »Mama, ich sehe doch, es geht dir nicht gut. Wenn Papa dir nicht geben kann, was du brauchst, dann tue ich es!«

Der Grundstein für unabgelöste Elternteil-Kind-Beziehungen ist nun bereits gelegt. Eine Folge ist, daß der Sohn eine nicht altersgerechte Rolle einnimmt und zum Partnerersatz für die Mutter wird. Söhne und Töchter in Partnerersatzrollen werden mit dem Begriff Parentifizierung beschrieben.

Auch wenn sich der Sohn narzißtisch geschmeichelt und mit seiner neuen Rolle für die Mutter von dieser nun aufgewertet fühlt, wird er gleichzeitig von dieser Rolle überfordert sein. Das Dilemma nimmt seinen Lauf, da er nunmal das Kind der Mutter ist und nicht ihr Mann oder gar Geliebter.

Diese Muster der Rollenumkehr legen den Grundstein für unabgelöste Elternteil-Kind-Beziehungen. Hinzu kommt, daß der Sohn, wenn auch unbewußt, auf dem Platz seines Vaters stehend, unweigerlich zu dessen Rivalen wird.

Durch die eingenommene Erwachsenenrolle und die Rollenumkehr im Eltern-Kind-Verhältnis verliert er nicht nur einen Teil seiner Kindheit, sondern auch das notwendige zu Hause, das er nötig zum Erwachsenwerden bräuchte. In der Folge wird ein Teil des später erwachsenen Mannes von der Mutter abhängig und »unreif« bleiben, da ihm die spätestens in der Adoleszenz von der Mutter anstehende Ablösung nicht gelingt.

Hinzu kommt, daß der Heranwachsende seine männliche Identität so nur noch von einer schwachen Vater-Sohn-Bindung nähren kann. Sein späteres Mannsein wird darunter leiden, das innere, nicht erwachsengewordene Kind, immer wieder die Führung übernehmen. Vor allem in einer späteren Partnerschaft wird sich dieser Teil entweder in Verweigerungen, trotzigen Haltungen und in der Abwehr von Wünschen der Partnerin oder in zu starker symbiotischer Anpassung und zu wenig Selbstbestimmung äußern. Der Begriff »Muttersohn« steht somit für den noch muttergebundenen, unabgelösten Sohn.

Müttersöhne erscheinen in vielfältiger Form. Paradoxerweise sogar als Machos, die mit ihrem Gebaren ihre unsichere männliche Identität zu verbergen suchen. Von einer gewalttätigen Variante, die auf diese Art ihre Nochgebundenheit auslebt, bishin zu einer harmlosen Variante, wie sie Loriot in seinem Film »Ödipussi« beschreibt. Diese leben sehr lang in Muttis Haushalt, schaffen spät den Absprung, um Mutti dann laufend anzurufen oder mit ihr zu Mittag zu essen.

Mutters Sohn heiratet Vaters Tochter – Eine verhängnisvolle Dynamik

Muttersöhne sind bei Frauen häufig sehr beliebt. Dafür steht die These, daß vatergebundene Frauen sich unbewußt vom Muttersohn Rettung versprechen. Die Vatertöchter, oft die besonders attraktiven Frauen, kommen aus dem Status der »Geliebten« nicht heraus. Der Wunsch nach einer festen, verbindlichen Beziehung will sich einfach nicht verwirklichen.

Und Partnerwahl ist kein Zufall. Mit untrüglicher Treffsicherheit sucht unser Unterbewußtsein den Partner aus, an dem wir persönlich wachsen können, wenn wir uns diesem Weg öffnen. Auch wenn es zunächst absurd erscheint, sind es gerade unsere Partner, durch die wir zur persönlichen Weiterentwicklung kommen können.

Trifft Mutters Sohn auf Vaters Tochter beginnt in der Regel nach kurzer Dauer des Gefühlshochs eine verhängnisvolle Dynamik, die zu größtenteils unerfüllter partnerschaftlicher Verbindung führt. Wie auch, wenn ungelöste Bindungen im Verborgenen die Drahtzieher sind. Danny de Vito zeigt in seinem Film »Der Rosenkrieg«, wie weit das gehen kann.

Die Fragestellungen von Ratsuchenden, die in meine Praxis kommen, machen dieses Dilemma deutlich, das immer wieder um abhängige, symbiotische Beziehungsmuster und das Thema Mann- bzw. Frausein kreist. Betroffene kommen, weil die Beziehung bzw. die Ehe zu zerbrechen droht. Sie beschreiben ihre Tagesform als von der Beziehung abhängig. Ein Partner erscheint emotional stärker und dominanter. Männer bemühen sich nach Kräften, ihre Frau glücklich zu machen, ernten scheinbar aber immer mehr Kritik und flüchten sich verzweifelt dahin, wo sie Anerkennung erfahren. Die Beziehungsprobleme und Ehekrisen gehen zunehmend an die Substanz.

Es wird bemängelt, daß die Männer bzw. auch die Frauen scheinbar abwesend sind. Der Ratsuchende fühlt sich vergessen, oft nicht genügend beachtet. Betroffene leiden unter den Konflikten in ihrer Partnerschaft. Beide, Mann und Frau, spielen inzwischen die Klaviatur der neuralgischen wunden Punkte ihrer Partner ausgesprochen gut. Beide wissen, welche Seiten sie spielen müssen, damit der Andere in die Luft geht, finden jedoch keinen Ausstieg aus diesen Streitmustern. Sind die Bindungen zu unserem gegengeschlechtlichen Elternteil nicht gelöst, ist eine wirkliche Begegnung mit unserer Partnerin unserem Partner nicht möglich.

Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß der Ratsuchende noch gebunden ist. An seiner Seite steht immer noch die Mutter, und diese Bindung wird die gesamte Partnerschaft dominieren und sie letztendlich nicht lebbar machen. Viele Paare richten sich auch in dieser Situation ein. Die Folge ist ein Nebeneinanderher, das viele Sehnsüchte und Wünsche offenläßt. Das ist die weniger gute Nachricht. Die gute ist, daß eine Trennung von den symbiotischen Eltern-Kind-Beziehungen, die in der Adoleszenz nicht erfolgen konnte, auch später noch möglich ist!

Im Verborgenen liegt meist des Rätsels Lösung

Entsprechend des Eisbergmodells, liegen die hierbei wirkenden Dynamiken und die daraus resultierenden Verhaltensmuster größtenteils im verborgenen Teil unseres Bewußtseins. Bildlich gesprochen, ist für unsere Wahrnehmung und Empfindung nur die Spitze des Eisbergs erkennbar – die unbewußt ablaufenden Prozesse bleiben zunächst unsichtbar »unter Wasser«.

Deshalb ist es unumgänglich, diesen im Verborgenen wirkenden Prozessen und damit ihren wiederkehrenden Mustern auf die Schliche zu kommen, um eine Partnerschaft, nach der wir uns im Allgemeinen alle sehr sehnen, auch leben zu können. In unserer systemtherapeutischen Praxis arbeiten wir nach diesem Prinzip und heben mit systemischen Methoden den Eisberg aus dem Wasser. Die im Verborgenen wirkenden Muster oder Bindungen werden sichtbar gemacht. Die Darstellung möglicher Lösungswege baut darauf auf.

Diese könnten beispielsweiße darin bestehen, daß der von der Mutter bisher nicht erlaubte Ablösungsprozeß aus eigner Kraft geschieht. Da der Muttersohn im Grunde genommen erlebt hat, daß er den Anforderungen der Mutter nicht gewachsen ist, wird er ansonsten weiterhin innerlich gegen die subtile Herrschaft der Mutter rebellieren oder – wie beschrieben – resignieren und sich gar mit der mütterlichen Aggression identifizieren. Fatal, wenn ein daraus latenter Frauenhaß, den Muttersöhne trotz ihrer erheblichen Angepaßtheit an die Wünsche der Mutter haben können, stellvertretend an der Partnerin ausagiert wird. Der Wunsch nach Ablösung wird jede Beziehung zu einer Partnerin dominieren. Dies kann gelöst werden.

Liebe Leser, haben Sie sich angesprochen gefühlt, könnte der Artikel ihnen Anhaltspunkte zur Lösung abhängiger Beziehungsmuster und zum Thema Mannsein geben.

Liebe Leserinnen, haben Sie beim Lesen dieses Artikels viele sog. »Aha-Effekte« erfahren, dann können Sie davon ausgehen, daß auch Sie in ganz besonderem Maße vom gegensätzlichen Thema Vatertochter betroffen sind. Falls Sie nun ihren Partner anschauen und sagen möchten »Genau! Das bist ja auch du!«, fallen Sie automatisch in die Nähe jener Mütter, die ihren Söhnen einst einen Auftrag gaben.

Die Praxis zeigt, daß wie von starken Magneten angezogen der Muttersohn auf die Vatertochter trifft. Es zeigt sich, daß die Partnerschaft eine wesentlich größere Chance auf Erfülltheit erfährt, wenn beide Partner das Thema angehen.

Autor
Dr. phil. Hans-Peter Milling

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