Wir brauchen eine zeitgemäße Spiritualität

von Lis Eymann

Wenn das Wort Spiritualität fällt, dann stellen sich bei vielen Menschen die Nackenhaare. Zu sehr wird die Spiritualität mit der Religion gleichgesetzt. Unter deren Deckmantel ist schon sehr viel Leid geschehen, das wissen wir alle. Umso mehr brauchen wir dringend einen Paradigmenwechsel.

Die wirkliche, echte, ernstgemeinte, wahre und auch gelebte Spiritualität ist etwas ganz anderes als starre religiöse Dogmen, die letztendlich immer wieder zu Machtmißbrauch führen. Echte Spiritualität richtet sich an den innersten Anteil des Einzelnen. Nicht an den Gewohnheitsgläubigen, der sonntäglich auf der Holzbank artig und passiv seine Stunden absitzt. Sondern an das brachliegende, verborgene Potential im Menschen, das wie ein innewohnender wertvollster Schatz in uns allen darauf wartet, entdeckt zu werden.

Dieser innere Kern des Menschen hat Anteile, die schön, edel und ehrenwert sind. Genauso hat er aber auch Anteile, die der Verwandlung bedürfen. Dieser verwandlungsbedürftige Mensch ist wie ein ungeschliffener Stein, mit grauen bis hin zu pechschwarzen Schichten überzogen. In manchen Phasen des Lebens scheint er wie darauf spezialisiert zu sein, Unschönes anzuziehen, uns unfrei zu machen und unsere Entwicklung zu sabotieren.

Gerade in der aktuellen Situation werden wir mitunter zwischenmenschlich sehr herausgefordert, und gerade jetzt scheint ein Entwicklungsschritt für uns Menschen mehr denn je anzustehen. Insofern ist es vielleicht das Leid, das wir verspüren, welches in uns den Wunsch zu Entwicklung anregt. Weil wir das, was wir gefühlt schon mindestens einhundert Mal erlebt haben, nicht nochmal bis ans Lebensende wiederholen wollen. Und weil die Perspektivenlosigkeit, die wir momentan erleben, uns in unseren Grundmauern erschüttert, und wir im außen keine wirklich brauchbaren Antworten finden. Wir können uns noch so viele Informationen reinziehen, noch so viele youtube-Videos anschauen, der innere Mensch bleibt dabei meist wie leer, hungrig und im passiven Konsum unzufrieden zurück.

Der innere Mensch

Im Gegensatz dazu ist gelebte Spiritualität gleichzusetzen mit höchster innerer Aktivität, Wachheit und Gedankenarbeit. Wir benötigen weisheitsvolle Wahrheitsgedanken, die sich an den inneren Menschen richten und mit denen er neue Erkenntnisse gewinnen kann. Die Seele sehnt sich nach dieser Ausdehnung und Weiterentwicklung. Vielleicht ist das nicht gar so offensichtlich und die leise Stimme im allgemeinen Lärm des Alltags nicht leicht vernehmbar, nicht leicht hörbar. Im Gegensatz zu den stillen Momenten im Leben.  

Rudolf Steiner schreibt in seinem Werk »Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten«: »Die Wogen des äußeren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird. Ein solcher Mensch ist wie eine Pflanze, die sich in einer Felsspalte entwickeln soll.«

Um diesem inneren Menschen Raum zu geben, ihn zu verwandeln, ihm Nahrung zuzuführen, damit er wachsen und sich veredeln kann, braucht es diese gehaltvollen, wahren Inhalte, an denen sich der Mensch orientieren kann. An denen er Ideale entwickeln kann, die er in der Zukunft tatkräftig umsetzen will. Die er sich als Ziele vornimmt, um dem Leben eine schönere Note zu verleihen und es zu verwandeln. Er braucht Gedanken, die ihn be»geistern». Hohe Gedanken von Geistforschern wie beispielsweise Rudolf Steiner, dem spirituellen Lehrer Heinz Grill oder indischen Weisen wie Sri Aurobindo, die Einsichten in die geistigen Welten haben und hatten. Mit deren Beschäftigung der Mensch sich über die alten Strukturen erheben und neu werden kann. 

»In sich selbst muß der Geheimschüler einen neuen, höheren Menschen gebären«, so Rudolf Steiner. In dieser Auseinandersetzung, die seine geistigen Fähigkeiten schulen, findet der Mensch zu seiner Selbstliebe zurück, die ihn auch wieder mit anderen Menschen verbindet. Im Gegensatz zum Selbsthaß, der entsteht, wenn er sich nur im Konsum verliert und latent in der Kompensation ist. In tausendfachen Ablenkungen gefangen. Wie auf einer unerkannten Suche nach dem verlorengegangenen Glück, das er so nie finden wird. Kein materieller Wert kann die innere Erfülltheit, Sinnhaftigkeit und Tiefe im Leben auf Dauer ersetzen.

Die zeitgemäße Spiritualität ist ein Weg, der uns Menschen wieder mehr in eine Verbindung mit dem bringt, was in uns angelegt ist und auf eine Entwicklung wartet. Der manchmal so grau anmutende Stein in unserem Inneren will geschliffen werden. Damit er sich in etwas Strahlendes, Wunderbares verwandelt, das Schönes und Edles hervorbringt, das heilsam, stärkend und erhebend auf den Einzelnen, aber auch auf das gesamte Umfeld wirkt. Aus diesem Weg kann eine tiefe, freiheitliche Liebe erwachsen, zu allen und allem auf dieser Welt.

Autorin
Lis Eymann

Weitere Informationen
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