Erste-Hilfe-Koffer für die Seele – Werkzeuge für das tägliche (Über-)Leben

von Michael Hoppe

Wie sagte eine erfolgreiche Autorin kürzlich in einem SWR-Interview: »Wir sind Wissensriesen, aber Umsetzungszwerge.« Dem kann man nur von ganzem Herzen zustimmen. Denn viele von uns sind »theoretisch« sehr gut informiert und belesen – wenn uns das Leben aber eine unvorhersehbare Aufgabe stellt, stehen wir oft sinnbildlich wie der »Ochse vor dem Berg«, erstarren zur Salzsäule und wissen nicht weiter. Damit das nicht so bleibt, ernennen wir das Jahr 2024 zum »Jahr der praktischen Umsetzung!« und stellen regelmäßig Werkzeuge vor, die den Weg durch den Dschungel des Lebens erleichtern.

Zuerst einmal bedanken wir uns bei den vielen Lesern, die uns praktische Hilfsmittel für unseren »Erste-Hilfe-Koffer für die Seele« zugesandt haben. Einige davon werden wir Ihnen in diesem Artikel vorstellen, weitere Artikel folgen. Zudem haben wir uns dazu entschlossen, ab 2024 wieder sogenannte NATURSCHECK-Bewußtseinstage anzubieten, an welchen verschiedene Referenten, Therapeuten, Berater und andere »Praxisexperten« ihre Erkenntnisse an die Teilnehmer weitergeben. Voraussetzung ist, daß es sich um Machbares handelt, also um Hilfsmittel, die jeder von uns im täglichen Leben anwenden kann. Termine und Referenten teilen wir Ihnen regelmäßig mit. Siehe dazu auch den Text nach diesem Artikel (Im Magazin auf S. 15). Die Einnahmen aus den Bewußtseinstagen gehen an die aktuell von uns unterstützten Tierschutzprojekte:


Den Widerstand aufgeben

Ich weiß nicht, wie Sie die letzten 3-4 Jahre erlebt haben, aber für viele von uns waren sie eine echte Druckprobe. Unzählige Menschen hat es komplett aus der Bahn geworfen, Familien und Freundschaften sind zerbrochen und Glaubensmodelle wie Kartenhäuser in sich zusammengestürzt. Vor allem eines hat diese Zeit gezeigt: So wie es war, wird es nie wieder sein. Und die Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft können wir nur dann erfolgreich meistern, wenn wir uns rüsten und wach, achtsam und bewußt durchs Leben gehen.

Beginnen wir deshalb mit dem, was uns in der Regel die größten Probleme bereitet: der Realität! Jeder von uns erlebt sie anders, was dann zu unzähligen Mißverständnissen führt. Zudem wünschen sich die meisten Menschen, daß die Realität (das Geschehen in der Welt) anders sein sollte, als sie ist. Und dazu haben sie natürlich auch jeden Grund. Man muß nur die Nachrichten anschauen oder Zeitung lesen, und schon springt einem eine Realität entgegen, die alles andere als erfreulich, friedlich oder harmonisch ist.

Viele Menschen leiden unter der Realität. Sie lehnen sie innerlich ab und flüchten sich stattdessen in die eigenen Gedankenwelten. Doch auch auf die eigenen Gedanken ist kein Verlaß. Immer wieder driften sie ab und verbinden uns mit dem, was außerhalb unseres Kopfes geschieht. Bisweilen bestätigen sie gar unsere »bösen Vorahnungen«. Und wir leiden weiter.

Die bekannte Bestsellerautorin und Lehrerin Byron Katie drückt es so aus: »Leiden ist eine freiwillige Entscheidung. Wann immer wir ein belastendes Gefühl wahrnehmen – alles vom leichten Unbehagen bis zu intensiver Trauer, Wut oder Verzweiflung – können wir sicher sein, daß ein bestimmter Gedanke unsere Reaktion verursacht, ob wir uns dessen bewußt sind oder nicht. Um unseren Streß zu beenden, müssen wir das Denken untersuchen, das dahinter steht.«
Noch klarer wird sie in dem Satz: »Ich habe noch nie ein menschliches Leiden gesehen, das nicht durch das Festhalten an einem unwahren Gedanken kommt.«

Ergo: Nicht die Realität muß sich ändern, sondern unser Denken, unsere Reaktion auf die Realität. Doch wie untersucht man das eigene Denken? Wie erkennt man einen unwahren, leiderzeugenden Gedanken? Zum Beispiel jetzt gerade in diesem Moment?
Hierzu hat uns Byron Katie ein praktisches Werkzeug in die Hand gegeben, das auch noch passend »The Work« heißt. The Work besteht aus vier Fragen, die wir uns nacheinander stellen, wenn uns etwas belastet.


Ein Beispiel:

Ich sitze an meinem Schreibtisch und »leide«, weil es draußen regnet – dabei wollte ich gerade spazieren gehen. Leiden kommt immer von einem unwahren Gedanken. Also prüfe ich den Gedanken, der Leiden in mir auslöst: Es sollte nicht regnen!

1. Ist das wahr, daß es nicht regnen sollte? – Ja, denn ich will spazieren gehen.

2. Kann ich ganz sicher sein, daß es nicht regnen sollte? Es regnet ja, und daran ist nichts zu ändern. – Ganz sicher kann ich nicht sein, aber es ist ärgerlich.

3. Wie fühlst du dich bei dem Gedanken, daß es nicht regnen sollte, aber dennoch regnet? – Es macht mich unzufrieden, frustriert mich.

4. Wie würde es dir ohne den Gedanken gehen, daß es nicht regnen sollte? – Ich würde es einfach akzeptieren. Und wahrscheinlich würde ich eine Jacke mit Kapuze anziehen und trotzdem spazieren gehen …

Das ist natürlich ein sehr einfaches und nicht wirklich lebensbedrohendes Beispiel. Doch verhält es sich bei anderen Leidensgedanken ähnlich. Die eigenen Gedanken regelmäßig zu prüfen, ist deshalb etwas fundamental Wichtiges, leben wir doch alle in unserer eigenen, subjektiven Gedankenwelt. Und »The Work« ist ein leicht anwendbares und sehr praktisches Werkzeug, um den Widerstand gegen die Realität loszulassen und damit »das Leiden aufzulösen«. Bei unseren Bewußtseinstagen wird »The Work« deshalb eine wichtige Rolle spielen.

Atem, Bewegung und Dankbarkeit

Die Yoga-Lehrerin Eva Devi Kerkmann, die beim NATURSCHECK Bewußtseinstag am 28.1.2024 aktiv mit dabei sein wird, schickte uns die drei nachfolgenden Werkzeuge:

1. Was gehört in einen Erste-Hilfe-Koffer für die Seele? Als erstes ein tiefer Atemzug! Denn über den Atem kann ich mich ganzheitlich erfahren, das heißt, Körper, Geist und Seele wahrnehmen und zur Ganzheit führen. Über den Atem kann ich auch mein Befinden steuern.
Die drei großen autonomen Energien unseres Körpers, die direkt mit unserem Empfinden verbunden sind, sind die Herzfrequenz, die Gehirnwellen und der Atem. Alle drei funktionieren ohne unser bewußtes Zutun. Wir atmen auch dann, wenn wir nicht darüber nachdenken, unser Gehirn denkt und arbeitet auch dann, wenn wir es nicht bewußt steuern (… und das oft mehr als uns lieb ist!), und auch unser Herz schlägt unaufhörlich Tag für Tag, Nacht für Nacht, ohne daß wir etwas dazu tun müßten.

Diese drei Energien hängen sehr eng zusammen, was uns im Alltag nicht immer bewußt ist, was wir aber sehr gut nutzen können, um Harmonie herzustellen. Der Atem ist die eine große autonome Energie, die wir bewußt steuern können. Mit einem tiefen Atemzug kann ich meinen Geist und mein Herz beruhigen und in Kohärenz versetzen. Wenn dann wieder einmal das Denken nicht aufhören will, wenn das Herz unruhig schlägt und der Atem sich beschleunigt, kann ich mit einem tiefen, bewußten Atemzug Einheit erreichen:

Ich halte also kurz inne, spüre, was da los ist in meinem Innern und richte mich auf, atme tief
durch die Nase ein, lasse den Atem durch mein Herz fließen, den Brustkorb etwas weiten
und vor allem auch den Bauch sich ausdehnen.

Ich halte den Atem ganz kurz an und atme dann durch den Mund langsam aus, lasse den Atem durch mein Herz zurückströmen und entspanne Bauch und Brustkorb und lasse die Schultern sinken. Einige tiefe Atemzüge – und ich fühle mich wieder ganz und lebendig und heil an Leib und Seele.

2. Weil die Seele so eng verbunden ist mit unserem inkarnierten Körper, gehört für mich unbedingt auch körperliche Bewegung in den Erste-Hilfe-Koffer für die Seele. Wie wir wissen, speichert der Körper alle Erfahrungen, die wir machen – physische wie psychische – auf der Körperzellebene. Die Traumatherapie macht sich dieses Wissen zunutze, und auch schon die alten Weisheitstraditionen, Schamanen und Yogis wußten darum und setzten gezielt Tanzen bis zur Trance, Trommeln und rhythmische Bewegungen zur Heilung ein.

Warum ist es so, daß wir so glücklich sind, wenn wir einen Abend durchgetanzt haben, wenn wir eine Stunde laufen waren, wenn wir uns einmal richtig verausgabt haben? Weil unsere Energie ins Fließen kommt und die tiefsitzenden Blockaden sich lösen können, so daß wir uns wieder lebendig fühlen. Dieses Erste-Hilfe-Tool können wir natürlich auch ganz gezielt einsetzen, wenn wir uns energielos und müde fühlen, wenn wir traurig sind, wenn wir gestreßt sind vom Alltag oder auch alte Traumata behutsam auflösen wollen. 

Dazu stelle ich mich ganz entspannt hin und beginne aus den Fuß- und Kniegelenken sanft rhythmisch auf und ab zu wippen, finde meinen eigenen Rhythmus von innen oder lege mir eine passende Musik auf. Nach und nach wird die Bewegung freier, und ich bewege vielleicht den gesamten Körper, die Beine, die Hüften, das Becken, die Schultern, die Arme, den Kopf, den ganzen Rumpf und wiege mich hin und her oder finde in kraftvolle Bewegungen, die meine Zellen von Blockaden befreien.

Mindestens zehn Minuten lasse ich vollkommen los und lasse alles geschehen. Ich atme tief aus, manchmal stöhnend, seufzend oder laut schnaufend und tönend. Auf diese Weise löse ich die eingelagerten Blockaden auf der Zellebene. Danach ruhe ich eine Weile und genieße die neue, lebendige Energie, die mich durchflutet, das Kribbeln und Vibrieren in den Zellen, das Pulsieren bis in die Oberfläche des Körpers und darüber hinaus. So fühle ich mich wieder Eins mit Allem.

3. In meinen Erste-Hilfe-Koffer für die Seele packe ich außerdem noch die Dankbarkeit. Denn Dankbarkeit ist der Schlüssel zu einem harmonischen und glücklichen Leben in Freiheit, Freude und Frieden. Dankbarkeit erfüllt mich mit einem Gefühl der Liebe, der Fülle, der Glückseligkeit. In tiefem Gebet, in Meditation, aber auch im Wald und in der Natur kann ich Dankbarkeit empfinden für jede Wesenheit, für jede Erfahrung, für jeden Augenblick, den ich lebe. 

Ich empfinde Dankbarkeit für all die Geschenke des Lebens, für meine Sinnesorgane, für meinen Körper, für meine Familie, mein Haus, meine Arbeit, meine Talente und Fähigkeiten. Ich bin dankbar für die Möglichkeit, andere zu unterstützen und etwas zum Wohle Vieler beizutragen. Ich bin dankbar für mein Bewußtsein und für Gott, der mir dieses Leben geschenkt hat, der mich liebt und mein Herz öffnet. Ich bin dankbar für jeden Impuls, den ich durch dich, durch Jeden und Jede, die in mein Leben tritt, erfahre. Danke!


Mutter Erde ruft

Die Körpertherapeutin Aische Schwarz hat uns das nachfolgende Werkzeug geschickt:

Eine für mich schon jahrelange Begleitung im täglichen Leben ist der direkte Kontakt meines Körpers mit der Erde. Sobald sich etwas verspannt im Körper anfühlt, du nicht weiterweißt oder du dich alleine fühlst, einfach barfuß auf die Erde stellen und in Kontakt gehen. »Earthing«, nun ein Wort in vieler Munde, bringt uns wieder zu uns zurück und gibt uns die Möglichkeit, Streß, Anspannung und Verwirrung loszulassen. Es ist auch sehr angenehm, durch die Handflächen in die Erde abzugeben und in Kontakt zu treten.

Wenn es wieder wärmer wird, ist es wunderbar, sich mit Naturmaterialien bekleidet oder in direktem Hautkontakt auf dem Rücken in die Wiese oder den Sand zu legen – und alles, was uns in Anspannung hält, loszulassen. Anzuwenden, unter anderem, bei unerklärlichen Muskelschmerzen, Wut, Streß, Migräne, Anspannung, Angstzuständen. Viel Genuß und neue Zentrierung durch den Kontakt mit dem Element Erde wünsche ich euch.


»Was uns nicht umbringt …

… macht uns nur stärker (härter)?« Dem umstrittenen Satz von Friedrich Nietzsche liegt eine tiefe Lebenswahrheit zugrunde. Und hätte er nicht von »umbringen«, sondern von »Mühe kosten« oder »hart trainieren« gesprochen, würde der Satz sicher weniger Widerstand auslösen bei all jenen, die Philosophen gerne allzu wörtlich nehmen.

Daß Selbstüberwindung bei der Generation »Chillen« nicht mehr ganz so hoch im Kurs steht, zeigt u.a. die große Infektionsanfälligkeit vieler junger Menschen. Dazu kommen zahlreiche, viel zu frühe »Alterserkrankungen«, Jugenddemenz, Übergewicht, mangelndes Stehvermögen, Antriebslosigkeit, etc. Dabei bietet das tägliche Leben unzählige Möglichkeiten, sich selbst und seinen Körper »abzuhärten« oder – wem das weniger Martialische besser gefällt – ihn widerstandsfähiger zu machen. Womit wir schon bei den praktischen Übungen wären:

Anstatt den bequemen Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, können wir uns täglich ein paar Überwindungsaufgaben stellen. Wer seine Muskulatur trainiert, ist sich bewußt, daß nur regelmäßiges Wiederholen und Überwinden des Gewohnheitswiderstandes zur körperlichen Weiterentwicklung führt. Doch warum dieses Prinzip nicht auch ins tägliche Leben integrieren?

Regelmäßig zu Fuß gehen, auch wenn ein Auto zur Verfügung stünde. Und dabei bewußt atmen. Die Treppe nehmen statt dem Lift – und dabei die Stufen zählen. Beim nächsten Mal vielleicht zwei Stufen auf einmal nehmen. Entspannte Spaziergänge im Regen – und dabei Wassertropfen mit der Zunge einfangen. Gymnastik in der Kälte. Barfußlaufen im Winter. Bewegung, Bewegung, Bewegung … Der Fantasie sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt.

Mein Selbstüberwindungsvorbild ist meine Frau. Bereits im letzten Jahr und auch schon seit Anfang Mai diesen Jahres geht sie jeden Morgen schwimmen im Finsterroter See – egal bei welchem Wetter. Der See ist glücklicherweise nur knapp 400m von unserem Haus entfernt.
Während ich eine Zeitlang massiv geschwächelt habe, bin ich seit Mitte Oktober täglich mit dabei. Am Anfang hat es große Überwindung gekostet, inzwischen freue ich mich jeden Tag darauf. Im Moment (Stand 2.12.2023) liegt die Wassertemperatur noch bei ungefähr 5 Grad. Da wir auch im Winter schwimmen wollen, haben wir uns kürzlich Neoprenanzüge gekauft. Ein paar »praktische Hilfsmittel« dürfen es natürlich sein.

Fakt ist: Um widerstandsfähiger zu werden und der eigenen Gesundheit etwas Gutes zu tun, ist Selbstüberwindung der Schlüssel. Wobei das Wort »Selbst« eigentlich fehl am Platze ist. Es dürfte wohl eher der vielzitierte »innere Schweinehund« sein, der hier überwunden werden muß. Unser wahres Selbst würde nie akzeptieren, daß wir uns körperlich gehen lassen. Denn es möchte nur unser Bestes.

Liebe Mitmenschen, wenn auch Sie praktische Werkzeuge für das tägliche (Über)Leben parat haben, können Sie uns diese gerne zusenden und den »Erste-Hilfe-Koffer für die Seele« damit bereichern. Herzlichen Dank im Voraus.

Hier noch der Link zu den Bewußtseinstagen.


Autor
Michael Hoppe

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