Quo vadis, Journalismus? – Wenn aus freien Reportern PR-Texter werden

von Andreas Scholz

Journalisten und Verlage klagen seit Jahren über rückläufige Einnahmequellen, schwindende Leserzahlen und niedrigere Anzeigenvolumen. Die Kostenlos-Mentalität, die im Internet grassiert, läßt gut recherchierten Qualitätsjournalismus kaum noch zu. Dazu kommen immer kritischere Leser, die über die »Lügenpresse« schimpfen und eine junge Generation, die lieber mit Gleichgesinnten »chattet« und an vielen allgemeinen Themen nicht mehr interessiert ist.

»Only bad news are good news«, so lautet ein berühmtes Zitat in der Nachrichtenbranche. Für Journalisten – insbesondere für freie Journalisten – gibt es inzwischen aber fast nur noch schlechte Nachrichten, wenn es um die eigene berufliche Situation geht. Die Zeilenhonorare rutschen immer weiter in den Keller, und auch die Bildhonorare sind erschreckend niedrig. Regelmäßige Umfragen in der Branche bestätigen den erschreckenden Trend: das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines freien Journalisten schwankt zwischen 2.000 und 2.500 Euro monatlich.

Im schlimmsten Fall gibt es auch gar kein Geld – nämlich dann, wenn das Ergebnis einer aufwendigen Investigativ-Recherche von der Redaktion gar nicht erst abgedruckt wird. Da sind dann mehrere Wochen an Arbeit umsonst gewesen.

Vor allem Kriegsreporter können ein Lied davon singen. Unter lebensgefährlichen und unwirtlichen Bedingungen harren Bildjournalisten in Krisengebieten im Schützengraben aus, um Menschen auf der anderen Seite des Kontinents mithilfe von eindringlichen Schnappschüssen über die Gräueltaten eines autokratischen Regimes oder einer machtbesessenen Militärjunta aufzuklären. Aber wenn dann plötzlich eine Redaktion davon absieht, das Fotomaterial abzudrucken, dann bleibt der Kriegsreporter auf seinen Kosten für die ramponierte Kameraausrüstung oder den teuren Rückflug in die Heimat sitzen.

Die guten alten Zeiten sind vorbei

Die Goldenen Jahre des Journalismus liegen längst hinter uns. Fast schon surreal in Zeiten von digitalen Newstickern und Gigabyte-Speicherkarten wirkt da der Blick auf das Journalismus-Dasein in den Achtziger Jahren. Bestes Beispiel: die TV-Serie »Kir Royal – Aus dem Leben eines Klatschreporters« von Helmut Dietl. Der Boulevard-Reporter Baby Schimmerlos konnte es sich damals noch erlauben, eine Marlboro nach der anderen zu qualmen, während die Redaktionssekretärin seine boshaften Kolumnen über die Münchner Schickeria auf eine alte Schreibmaschine eintippte.

Parallel dazu kämpfte sein Kompagnon, der Fotograf Herbie Fried, oft mit der begrenzten Aufnahmekapazität einer 24er Filmrolle. Aber immerhin hat Baby Schimmerlos damals jede noch so teure Rechnung im Schickimicki-Restaurant anschließend vom Verlag bezahlt bekommen. Heute hingegen bekommen Journalisten oft nicht mal mehr die Fahrtkosten erstattet, wenn sie für einen Lokaltermin nach Hintertupfingen fahren! 

Journalismus 4.0

Im 21. Jahrhundert ist es mit schnellen Schnappschüssen oder bloßem Recherchieren nicht mehr getan – da erwarten viele Redaktionen die »eierlegende Wollmilchsau«. Im Idealfall vereint der freie Journalist mehrere Berufsgruppen auf einmal. Er schreibt Texte, macht Qualitätsfotos, bedient die Videokamera und beherrscht auch den digitalen Workflow nach dem Interviewtermin im Schlaf. Er bereitet in Rekordtempo die Fotos professionell mit einem Bildbearbeitungsprogramm sowohl für Print als auch für Web auf und gestaltet abschließend mit einem Layoutprogramm einen druckfähigen Artikel inklusive passender Bildstrecke.

Fachbegriffe und Dateiformate aus der Welt des Internets wie CMS, Frontend, Keywording, SEO, Hashtag, Joomla, Typo3, PHP, mySQL, HTML, CSS, WMV, MP3, GIF oder IPTC sind ihm längst geläufig. Er ist nicht nur in der Lage, Texte, Fotos sowie Audio- oder Videodateien auf der Website oder einem Blog einzupflegen: die Redaktion darf schließlich auf einen »High Potential« bauen, der neben dem 1×1 des Journalismus auch barrierefreies Webdesign genauso gut beherrscht wie ein professioneller Programmierer.

Aus Kostengründen fallen allerdings aufwendige Recherchen immer mehr dem Rotstift zum Opfer – die Chance, einen »Scoop« mit Knalleffekt im medialen Blätterwald zu landen, schwindet daher zunehmend dahin. Ein akribisches sowie monatelanges Recherchieren, wie es sich einst Robert Redford und Dustin Hoffman in der Verfilmung um die politische Watergate-Affäre erlauben konnten, ist mittlerweile fast undenkbar geworden. Nur die finanzstärksten Verlage sind noch in der glücklichen Lage, aufwendige Recherchen in Auftrag zu geben und diese – koste es, was es wolle – auch durchziehen zu können.

Vorgefilterte Nachrichten

Die meisten Sensationsmeldungen stammen heute nicht mehr aus der Feder der Journalisten vor Ort, sondern werden von großen Nachrichtenagenturen wie dpa, AFP oder Reuters an die einzelnen Redaktionen weitergeleitet. Der Newsticker spuckt alle paar Minuten »die wichtigsten Nachrichten des Tages« aus, die dann – textlich leicht verändert – an die eigene Zuschauer- und Leserschaft weitergeleitet werden. 

Für die Verlagsleitungen ist das ein Segen: Man spart einen Haufen Geld, wenn man keinen Redakteur an die aktuellen »Brennpunkte« entsenden muß. Gleichzeitig geht dabei natürlich die Authentizität und die Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes verloren. Aber die alte Geld-Regel »Time is money« trifft heute mehr denn je auch im Journalismus zu. Denn die prekäre finanzielle Situation vieler Verlage schränkt den Handlungsspielraum von Journalisten und Redakteuren immer mehr ein. Viele Zeitungen und Zeitschriften haben sich daher vom Großteil ihres Personals getrennt. Survival of the fittest!

Quo vadis, Journalismus?

Die rasante technologische Entwicklung zwingt viele Verlage zum Umdenken. In Zeiten von Internet, Twitter, Facebook und Co. hat es die »klassische« Zeitung oder das Wochenmagazin aus Papier schwer, sich auf dem Markt zu behaupten oder am Kiosk beachtet zu werden. Die Auflage und die Abonnentenzahl sind sowohl bei BILD, Focus, Stern, FAZ oder ZEIT rückläufig. Und von den vielen gedruckten Magazinen werden häufig bis zu zwei Drittel der Auflage ungelesen »entsorgt«.

Wir erleben derzeit einen echten Paradigmenwechsel, und die Verlage haben auf ein Kardinalproblem noch immer keine vernünftige Antwort gefunden: Die junge Generation kauft kaum noch Informationen auf Papier, sondern informiert sich gratis via Smartphone, Tablet oder am Laptop über aktuelle Geschehnisse, die die Welt in Atem halten. Für digital bereitgestellte Informationen und Nachrichten möchte man kein Geld ausgeben. Im Internet grassiert eine illusionäre »Kostenlos-Mentalität«, die davon ausgeht, daß Informationen keinen realen Wert besitzen, sondern einfach »irgendwo« herkommen. 

Und während früher die Lokalzeitung quasi eine Monopolstellung hatte und für geschäftliche sowie private Anzeigeninserenten das Nonplusultra darstellte, orientiert man sich auch hier immer mehr in Richtung Internet: Überregionale Auto-, Stellen- und Immobilienbörsen haben den regionalen Anzeigenseiten in der Lokalzeitung längst den Rang abgelaufen. Da inzwischen auch jede noch so kleine Metzgerei und sogar das Imbißrestaurant um die Ecke über einen eigenen Web- auftritt oder zumindest einen Facebook-Account verfügt, scheint das Marketingbudget für eine Anzeige in der Lokalzeitung begrenzt zu sein. Nach dem Motto: Warum soll ich in der Lokalzeitung eine kostenpflichtige Anzeige setzen, wenn ich auch auf Facebook die potenzielle Kundschaft über meine Wochenkarte oder Sonderangebote informieren kann?

Wenn aus freien Reportern PR-Texter werden

Da die bezahlenden Leser immer weniger werden und es außer den Werbeanzeigen keine weiteren Einnahmequellen gibt, sind die Verlage in einer echten Zwickmühle. Sie müssen entweder Ihre Magazine aufgeben… oder ein Stück weit ihre Neutralität. Denn der Kunde ist König. Und da der Anzeigenkunde neben seiner Werbung auch gerne noch einen schönen Artikel über sein Unternehmen im redaktionellen Bereich vorfinden würde, betätigen sich immer mehr »freie Journalisten« als Werbetexter.

In angeblich völlig sachlichen Beiträgen werden Firmen, Produkte und Dienstleistungen auffällig über den grünen Klee gelobt. Das Ergebnis sind eindimensionale Lobeshymnen: im Artikel kommen nur wohlwollende Meinungsbilder vor – Kontra-Stimmen fehlen völlig. Fazit: Kritischer Journalismus sieht anders aus. 

Angesichts der überschaubaren Einnahmesituation bleibt dem Journalisten aber oft gar nichts anderes übrig. Viele Journalisten sind daher längst ins PR-Fach gewechselt, weil sie mit einem einzigen Artikel in der Kundenzeitung oder im Mitarbeitermagazin eines großen Industriekonzerns mehr Geld verdienen als mit fünf Wochenterminen bei Wind und Wetter für die Lokalredaktionen. 

Oft wechseln Journalisten auch notgedrungen ihr Themengebiet. Da mit Theaterkritiken oder Kulturjournalismus kaum noch Geld zu verdienen ist, entwickeln Journalisten stattdessen Pseudo-Schlagzeilen für Promiblätter, wie zum Beispiel: »Heidi Klums neuer Lover trägt beim Liebesurlaub auf den Bahamas noch immer Schwimmflügel«. Oder: »Erwischt! Germany´s Next Top Model Xenia-Cheyenne Degeltrögg-Riethinger ißt ungeniert im Straßencafé ein Zitroneneis mit Sahne und gefährdet dadurch ihre Traummaße«. Oder noch qualita- tiver: »Peinliche Beauty-Panne: Mia-Rudolfine Geier-Fröhlich bei C-Promi-Ball in Worpswede ohne Lipgloss unterwegs«. 

Schlimmer geht’s leider immer! Aus finanzieller Not mutiert der seriöse Journalist leicht zum gewissenlosen Paparazzi, der auf die Gefühle der Promis pfeift. Denn irgendwo muß die Kohle zum Überleben ja herkommen. 

Meinungsvielfalt leidet

Der Journalismus steckt in derselben Falle wie viele andere Berufe. Für immer weniger Ertrag wird immer mehr »Flexibilität« gefordert, was nicht selten auch mit dem Aufgeben eigener Prinzipien und moralischer Standpunkte einhergeht. »Machst du es nicht, dann tut es eben ein anderer! Und wer bezahlt, hat Recht!« Eine gefährliche Entwicklung!

Die Basis einer demokratischen Gesellschaft ist von jeher eine freie Presse. Während in Ländern wie der Türkei inzwischen »frei denkende« Journalisten verhaftet oder bestimmte Tageszeitungen einfach vom diktatorischen Staat geschlossen werden, erleben wir auch hierzulande einen Verfall der Meinungsfreiheit. Viele Journalisten wagen es aus Angst vor Repressionen oder dem Druck von Lobbyisten nicht mehr, unbequeme Themen anzugehen oder kritische Töne auszupacken. Schnell hat da ein Journalist eine Unterlassungsklage am Hals, wenn er irgendeine »Sauerei« in der Finanzwelt publik macht. Oft gibt der Journalist klein bei und veröffentlicht dann eine »Berichtigung«, daß er sich getäuscht und bei der Recherche nicht entschuldbare Fehler begangen habe. Zu groß ist einfach die Angst vor einer juristischen Auseinandersetzung: meistens obsiegt eben der (finanziell) schwergewichtige Goliath noch immer über den kleinen David.

Der Blick in die Zukunft

Auch die Journalistenbranche ist im Wandel! Ob es in der Schönen Neuen Zukunftswelt überhaupt noch menschlicher Journalisten bedarf, die sich die Nächte um die Ohren schlagen, damit wir um 5.30 Uhr die Tageszeitung im Briefkasten haben, ist sowieso fraglich. Inzwischen wurden nämlich erste Computerprogramme entwickelt, die die vorgefilterten »wichtigsten Nachrichten aus aller Welt« algorithmisch auswerten und selbständig Artikel dazu schreiben. Angeblich sind diese IT-Artikel kaum von den »menschlichen Artikeln« zu unterscheiden. 

Was auf den ersten Blick wie ein Horrorszenario wirkt, könnte man aber auch als Zeitzeichen werten: Denn wenn es am Ende eh keiner mehr liest, ist im Grunde ja auch egal, was in der Zeitung steht…

Autor:
Andreas Scholz 

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