Schlüssel der Heilung

Eine ganzheitliche Betrachtungsweise

von Feryal Genc

Als Heil(praktik)erin begleitet mich das Thema Heilung seit Anbeginn meiner hauptberuflichen Praxistätigkeit. Ich habe in den letzten zehn Jahren auch im Rahmen meiner Lehr- & Ausbildungstätigkeit viele Menschen intensiv auf ihrem Heilungsweg begleiten dürfen. In diesem Artikel möchte ich nicht nur meine Erfahrungen als Therapeutin alias Wegbegleiterin einfließen lassen, sondern mit Ihnen auch die Quintessenz meines persönlichen Heilungspfades teilen.

Die Sprache ist eine Quelle von Mißverständnissen, stellt der Fuchs im Roman »Der kleine Prinz« von Saint-Exupéry bereits fest. Dieser Artikel möchte daher lediglich eine Brücke schlagen von meinem Herzen zu Ihrem Herzen. Zum Nachspüren inspirieren. Überprüfen Sie das Gesagte für sich, gehen Sie den hier genannten Schlüsseln auf den Grund, aber ehe Sie sie verwerfen, erproben Sie sie gründlich und aufrichtigen Herzens. Wenn Ihnen dann diese Landkarte auf Ihrem Pfad hilfreich war, so reichen Sie sie gern weiter.

Einleitung – vom gesund sein und heil werden

Gesund sein bzw. werden ist nicht gleichzusetzen mit heil sein bzw. werden. Heilung geht tiefer. Heilung ist ein Prozeß, der sich selbst bestimmt. Nur ein ganzheitlicher Pfad, welcher auch immer, wird eine Heilung einladen können. Heilung umfaßt alle Ebenen unseres Seins. Heilung läßt sich nicht erzwingen, und es gibt keine Abkürzung oder Wundermittel.
Es gibt durchaus Spontanheilungen und Wunder, auch diese gehören zum Mysterium des Lebens. Wir können körperlich »gesund« sein, ohne heil zu sein, und wir können heil sein und durchaus körperliche Einschränkungen haben. Heil sein bedeutet, wieder in die Ganzheit zurück zu finden, von welcher wir nie abgetrennt waren und sind. Getrennt zu sein ist eine Illusion unseres Egos. Es ist die Fixierung auf das »ich, mir und mein«, welche uns aus dem Urgrund der Einheit katapultiert. Nicht das Ego an sich ist problematisch, sondern unsere Überzeugung, daß wir das Ego sind. Wir sind aber so viel mehr. Nie können wir aus der Hand Gottes/Buddhas/des Schöpfers fallen. Es geht im Prozeß der Heilung darum, das freizuräumen, was schon immer da war und ist.

Erkenntnis ist der erste und wichtigste Schritt, oder warum um Hilfe bitten ein wichtiger Schlüssel auf dem Weg ist…

»Der Anfang des Heils ist die (Er)Kenntnis des Fehlers.«
Epikur

Welche Erkenntnis denn nun? Die Antwort auf diese Frage läßt sich nur individuell entdecken. Aber alle Erkenntnisse haben eine gemeinsame Wurzel: zu erkennen, daß ich mich von meinem ursprünglichen Auftrag in dieser Welt als Mensch entfernt habe oder vergessen habe, wer bzw. was ich im Kern meines Seins wirklich bin. Und manchmal ist es auch die Erkenntnis, daß ich Unterstützung brauche, weil ich mich heillos verrannt habe.

Es scheint für manche Menschen eine große Hürde zu sein, um Hilfe zu bitten. Das Gegenteil dieser Haltung ist ein Abgeben der Eigenverantwortung, d.h. wenn wir glauben, jemand anderer könne unser Kreuz tragen. Es gibt einen Weg dazwischen. Zu erkennen, daß ich von meinem ursprünglichen Kurs abgekommen bin, um Hilfe zu bitten, wo notwendig und sich zugleich der Eigenverantwortung bewußt zu sein, sind weitere heilsame Schlüssel auf dem Pfad der Heilung.

Achtsamkeit oder die Kunst still zu werden

»Wenn die Achtsamkeit etwas Schönes berührt, offenbart sie dessen Schönheit.
Wenn sie etwas Schmerzvolles berührt, wandelt sie es um und heilt es.«
Thich Nhat Hanh

Achtsamkeit ist die Basis jedes ganzheitlichen Heilungsweges. Welchem Pfad wir auch immer folgen mögen, egal welche spirituelle Tradition oder welche naturheilkundliche Methode wir wählen – Achtsamkeit ist der so notwendige Dünger für unseren inneren Garten.
Schauen wir hin, achtsam und behutsam. Ist es nicht die Achtlosigkeit in dieser Welt, welche so viel Leiden verursacht? Manchmal liest man, daß die Achtsamkeit einem Muskel gleicht, welchen man trainieren kann. In der Tat läßt sich Achtsamkeit kultivieren. Wie? Ganz einfach. Indem wir unablässig üben, diesen einen Moment mit Aufmerksamkeit und Hingabe zu füllen. Wie jetzt beim Lesen bzw. beim Schreiben. Mit ungeteilter Aufmerksamkeit einfach nur schreiben bzw. lesen. Die Gerüche wahrnehmen, die uns umgeben. Ebenso den Geräuschen und Klängen zu lauschen, in welche wir eingebettet sind. Die Tastatur zu fühlen oder das Papier, welches wir in Händen halten. Ganz und gar da zu sein.

So einfach es klingt, so schwer ist es für unseren rastlosen »Affengeist«. Sieben Mal hinfallen, acht Mal aufstehen, heißt es so schön im Zen. Wenn wir den Focus bewahren, wandelt sich die Rastlosigkeit allmählich um. Wenn wir kontinuierlich üben, findet der Geist in die Stille. Dieses zur Ruhe kommen, zur Stille zurückfinden, ist ein weiterer Schlüssel auf dem Pfad der Heilung.

Beschwerden als Verbündete und warum es wichtig ist zuzuhören

Nur wenn wir still werden, können wir wahrhaftig zuhören lernen. Beschwerden, ob nun körperliche oder seelische, sind unsere Verbündeten. Sie haben uns Wesentliches mitzuteilen. Ich habe Verständnis, wenn diese Haltung befremdlich erscheinen mag. Gerade bei schwerwiegenden Erkrankungen ist es nicht leicht, diesen Perspektivenwechsel zu vollziehen, aus dem Widerstand in die Annahme.
Wir alle bekommen unterschiedliche Aufgaben in diesem Leben. Manchmal zeigt sich diese Aufgabe als geistige und/oder körperliche Erkrankung, Unfall, Trauma etc. Manchmal wurzelt diese in unserer Lebensgeschichte, manchmal in unserer Familienhistorie (Stichwort: systemische Arbeit).
Bisweilen mag eine Krankheit tiefer wurzeln, z.B. in früheren Inkarnationen – manche nennen es Seelenaufträge. Oft verstehen wir rückblickend, warum wir den Weg so und nicht anders gehen mußten. Manchmal jedoch bleibt es im Verborgenen. Das Leben ist und bleibt ein Mysterium, und es wäre vermessen, wenn wir glaubten, alles rational erklären oder verstehen zu können.
Auch die Heilerin / der Schamane wird geprüft in einer langjährigen Ausbildung. Er durchläuft unter Umständen mehrmals den Prozeß der »Zerstückelung«, ehe er in den Dienst des großen Ganzen treten kann. Der Pfad der Heilung ist ein schmerzhafter Prozeß, der einer Geburt gleicht – wir liegen unter Umständen lange in den Wehen, ehe wir uns neu gebären können. Auch das ist ein Prozeß, der sich selbst bestimmt. Wir können ihn nicht abkürzen, aber es gibt viele Möglichkeiten der Unterstützung.
So wie naturheilkundige Hebammen mit Hilfe von heilkräftigen Kräutern die Geburt erleichtern können, gibt es zahlreiche Methoden der Unterstützung. Es ist heilsam, wenn wir achtsam lauschen lernen. Es ist auch heilsam, wenn uns ein kundiger Wegbegleiter zuhört, vielleicht so wie Momo es in Michael Endes gleichnamigen Roman zu tun vermochte.
Der wichtigste Schlüssel ganzheitlicher Heilung oder die Kraft des Herzens
»Einem Menschen, der viel Liebe gibt, wenden sich auch die Tiere zu; selbst die Blumen scheinen ihm zu folgen, wenn er an ihnen vorübergeht, sie scheinen seine Liebe zu erkennen und zu erwidern. Liebe kann sich ausdehnen, sie kann das ganze Universum umfassen. Sie kann heilen.«

Bear Heart

Zunächst manifestiert sich »Krankheit« als Ungleichgewicht im energetischen Gefüge. Erst wenn dieses Ungleichgewicht bestehen bleibt, manifestieren sich die »Symptome« auf der sichtbaren, faßbaren Ebene. Es bedarf, wie oben erwähnt, der Erkenntnis, der Achtsamkeit und des Stillwerdens, um zu heilen. Widerstand gegen das, was ist, blockiert die Selbstheilungskräfte und untergräbt unsere Ressourcen.
Finden wir aus dem Widerstand in die Annahme, öffnet sich eine Tür, und vormals gebundene Energie wird freigelegt. Diese kann nun in den Heilungsprozeß fließen. Aus der Stille heraus kultivieren wir die Fähigkeit, wahrhaft zuzuhören. Und nur aus der Stille heraus können wir mit dem mächtigsten Heiler in uns wieder in Kontakt treten: unserem Herzen und seiner Fähigkeit, bedingungslos zu lieben und mitzufühlen. Wenn wir selbst heil sind, d.h. in die Ganzheit zurückgefunden haben, leben wir in unserem ursprünglichen natürlichen Zustand.

Wir hören das Leid der Welt, aber wir versinken nicht darin. Wir theoretisieren auch nicht darüber, sondern leben aus dem Herzen heraus. Der Pfad des Herzens ist ein Pfad der Praxis, nicht der Theorie. Erst wenn wir unseren Herzenskompaß urbar machen, dehnt sich die Kraft der Liebe aus und kann tatsächlich das ganze Universum umfassen und heilen. Der erste und wichtigste Schritt dabei ist, daß wir uns unserem Innersten zuwenden und selber heilen. Wenn wir uns ordnen, ordnet sich auch immer die Welt mit uns. Wenn wir heilen, heilt auch immer unsere Welt mit uns.

Autorin
Feryal Kosan Genç

Daowege e.V. – Verein zur Pflege ganzheitlicher Lebenskünste
www.daowege.de

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